Augenschmaus in der Kunst
Verlockender Einblick in die Welt der Stillleben.
Das künstlerische Genre der Stillleben spiegelt auf herausragende Weise Tafelfreuden wider. Stillleben werden häufig als symbolische Botschaft interpretiert, die irdische Genüsse vor Augen führt. Der Betrachter kann sich an appetitlichen und raffinierten Motiven erfreuen. Diese sind in prachtvolleTischszenen eingebettet und weisen auf soziale Aspekte und Ernährungsgewohnheiten verschiedener Zeitepochen hin. Im Folgenden sehen Sie eine kleine Auswahl der Werke, die im Rahmen der Ausstellung Augenschmaus – Das entschlüsselte Stillleben im Alimentarium zu besichtigen waren (3. Mai 2013 bis 20. April 2014).
Das stille Universum irdischer Freuden
Seit ihrem Aufkommen im 16. Jahrhundert werden Stillleben von der Oberschicht dazu benutzt, um auf ihre soziale Stellung hinzuweisen. Eine Darstellung raffinierter Gerichte und wertvoller Gegenstände, die im Salon oder im Esszimmer an der Wand hängt, ist Zeugnis ihres Reichtums.
Dieses Werk, zweifellos eine Auftragsarbeit, zeigt sehr gut, wie ein Stillleben einer angesehenen Person Geltung verschaffen kann. Blumen aus ganz Europa und Obst waren im 18. Jahrhundert noch ein Luxus, den sich der grösste Teil der Bevölkerung nicht leisten konnte. Die Darstellung dieser wertvollen Produkte in einem Stillleben ermöglicht, auf Kultiviertheit und guten Geschmack hinzuweisen.
Ein Festmahl mit den Augen verschlingen
Frühstück, Zwischenmahlzeiten, Buffets, reichlich gedeckt mit Lebensmitteln: Die Darstellung von Esstischen ist ein klassisches Thema der Stillleben. Es veranschaulicht gewisse Aspekte der Tischkultur und ihrer Geschichte, wie z.B. verschiedene Arten von Gedecken, die zwischen dem 16. und 21. Jahrhundert aufeinander folgten: das Gedeck nach französischer, dann jenes nach russischer Art und schliesslich das zunehmende Verschwinden der Tischgesellschaft zugunsten neuer, weniger konventioneller Essgewohnheiten. Daher illustriert das Stillleben auch, wie sich die Speisenfolge von Nahrungsmitteln wie Käse, salzigen und süssen Backwaren, Krustentieren wie auch Getränken mit und ohne Alkohol innerhalb einer Mahlzeit verändert hat.
Ein fein ziselierter Humpen(1), eine Silberplatte und ein Römerglas mit Weisswein: kostbare Gegenstände, umgeben von einem karminroten Tischtuch und Weinblättern, machen den Prunk der Szene aus. Doch nebst den sinnlichen Freuden eines Festmahls veranschaulicht dieses Werk von Abraham Hendricksz van Beijeren die raffinierte Tischkultur und die vornehmen Manieren der holländischen Oberschicht jener Zeit.
1530 hatte die Veröffentlichung des Werks De civilitate von Erasmus von Rotterdam (vermutlich 1467–1536)(2) einen beträchtlichen Einfluss auf die Regeln der Tischmanieren. Durch sein Postulat der Achtung seiner selbst und anderer forderte Erasmus, sich bei Tisch nicht wie ein Tier zu benehmen, sondern Zurückhaltung zu üben. Die Veredelung der Tischmanieren und der Gegenstände werden hier vollendet dargestellt.
Raffinierte Speisen und feine Weine
Eine Gänsepastete im Teigmantel liegt auf einem bemalten weissen Steingutteller. Davor liegen Krebse, während ein Silberbecher und ein feines blaues Stielglas die Komposition vervollständigen. Das Werk erinnert an die französische Küche der Bourgeoisie des 19. Jahrhunderts, indem es Tradition und kulinarische Raffinesse vereint. Die Gänsepastete im Teigmantel verweist auf das Konditorhandwerk aus früheren Zeiten, während Krebse stets Teil eines Festmahls waren.
Käse und Nachspeise
Dieses Werk zeigt das Ende einer Mahlzeit, wie man es seit mehreren Jahrhunderten in Frankreich kennt: Ein Tisch mit Käse, Obst und Alkohol, hier vielleicht Portwein. Diese Motive sind in der Tat untrennbar miteinander verbunden, selbst wenn sich die Speisenfolge im Laufe der Jahrhunderte ändert und der Käse entweder vor oder nach dem Obst und den Süssspeisen serviert wird. Eine Käseplatte innerhalb einer Mahlzeit zu servieren ist eine typisch französische Tradition. Dank der Fortschritte der Milchindustrie und der Mechanisierung Anfang des 20. Jahrhunderts verbreitet sich die Vorliebe für Käse enorm, vor allem für den zu diesem Zeitpunkt entwickelten Schmelzkäse. Eine ähnliche, jedoch langsamere Entwicklung erfährt die Orange: vom Luxusprodukt zur Alltagsfrucht, dank der Fortschritte im Anbau.
Champagner, Liköre und Geselligkeit
Der Künstler will hier Geselligkeit und Gaumenfreude darstellen. Eine Flasche Champagner und das passende Glas gehen mit dem Genuss von zart dekoriertem Feingebäck einher. Auf dem Tisch liegen auch Bonbons in bunten Verpackungen, die den Blick auf sich ziehen. Damit veranschaulicht das Werk die masslose Vorliebe des europäischen Bürgertums am Ende des 19. Jahrhunderts für leichte alkoholische Getränke wie bestimmte Champagnersorten zu festlichen Anlässen oder auch einfach zum Dessert. Der Champagner verleiht diesem eine festliche Note sowie eine Raffinesse, die es von den Nachspeisen der unteren Schichten unterscheidet.
Auf einem Tisch liegen ein paar Äpfel vor einem Stielglas und einer Flasche Mirabellenlikör. Mit der Darstellung eines Likörs anstelle von Wein weist der Künstler auf den Erfolg der Spirituosen in Frankreich am Ende des 19. Jahrhunderts hin. Durch die Industrialisierung, welche die Produktion von Alkohol vereinfachte und dadurch den Preis senkte, hat sich dessen Konsum zwischen 1820 und 1930 verzehnfacht. Während die Bourgeoisie nun diese alkoholischen Getränke geniesst, stellt man vor allem in den Städten, in denen sich die Zahl der Brauereien und Restaurants vervielfacht, eine deutliche Zunahme von Alkoholismus durch den Konsum von billigen Produkten fest.
(1) Humpen: Mittelalterliches Trinkgefäss, im allgemeinen aus Metall, mit einem abgesetzten Fussring und einem Deckel versehen
(2) Erasmus: geboren zwischen 1466 und 1469 in Rotterdam, gestorben 1536 in Basel, war Regularkanoniker im Kloster der Augustinerchorherren, Philosoph, Humanist und Theologe und ist als einer der bedeutendsten Gelehrten der Spätrenaissance bekannt.
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