„Selbstverständlich, Madame“
Frisch aus der Bordküche: Einblicke in die Esskultur der superreichen Jachtbesitzer.
«Nein, den grossen!» Seien wir diskret und nennen wir sie einfach nur «Madame». Sie ruft von der Reling des Oberdecks und zeigt auf einen der beiden Thunfische, die der liparische Fischer hochhält. Mit dem mickrigeren Exemplar sollen sich die Leute auf der weiter westlich ankernden Jacht abfinden. Lächelnd beauftragt sie daraufhin den Jachtchef, daraus Sashimi zu bereiten, begleitet von einem Wakame-Salat. Alle Teller kommen später leer zurück – ausser jenem von Madame. Sie hat nur eines der zarten Filetstücke gekostet. Hat es nicht geschmeckt, Madame? Ihr Lächeln wandelt sich zu einem Strich: «Das war mir zu roh.»
Selbstverständlich, Madame. Widerrede wird auf Luxusjachten nicht geduldet, schliesslich haben die Eigner pro Meter Schiff knapp eine Million Euro ausgegeben. Ab 60 Metern Länge wird eine Jacht als Megajacht klassifiziert. Je exklusiver sie ausgestattet ist, umso höher das Ansehen in den eigenen Kreisen. Besucht man sich gegenseitig, wird genau registriert, was die anderen an Wasserspielzeugen am Heck aufgereiht haben. Exklusiver, neuer, mehr oder grösser wirkt wie ein Stachel im Fleisch des Unterlegenen – das Wasser ist anderswo immer blauer ...
Das gilt besonders auch für die Kulinarik. Sobald Gäste zugegen sind, wird alles aufgetischt, was die Delikatessenwelt hergibt. Die Austern bekommen ein Kaviarkrönchen, die weissen Trüffelspäne rieseln starkem Schneefall gleich auf die Entenleber, die Riesenlangusten spotten der Tellergrösse, und das Moscato-Parfait mit Acaibeeren wird opulent mit Goldblättchen bestreut. Dazu werden teure Champagner und Weine sowie Evian oder Perrier gereicht.
Dafür fehlt es bei der Hardware oft an Stil. Auf dem von Madame ausgewählten pastellfarbenen Tafelservice im Zaubergarten-Design sieht letztlich alles wie Fleischkäse aus. Das goldene Besteck kann da auch nichts mehr ausrichten, auch wenn es sich stolz präsentiert, wie kleine Soldaten links und rechts des Tellers. Zumal der Gast auf Stuhl Nummer vier ohnehin alle Gänge mit dem Suppenlöffel isst.
"Sobald man seinen Fuß auf eine Yacht setzt, gehört man irgendeinem Mann, nicht sich selbst und wird an Langeweile sterben." Coco Chanel
Für viele Jachtbesitzer oder Chartergäste verschwimmt die Zeit an Bord bald in eine wohlige Unwirklichkeit. Umso wichtiger werden die Fixpunkte Frühstück, Mittagessen, Dinner. Die meisten halten es mit Oscar Wilde: «Man umgebe mich mit Luxus, auf das Notwendige kann ich verzichten.» Dabei werden länderspezifische Klischees oft eingelöst: Amerikaner mögen es fürstlich, Italiener wie beim Edelitaliener, Schweizer und Deutsche gerne nouvelle, Araber bunt, Asiaten heimisch und Russen üppig. Sehr beliebt bei allen sind die mediterrane und japanische Küche sowie Fisch und Krustentiere.
Klarer sind die Unterschiede zwischen traditionell Vermögenden und neureichen Tischgästen. Erstere bevorzugen tendenziell kleine Portionen in mehreren Gängen und klassische Gerichte, sind taktvoll und einfacher zufriedenzustellen. Die neueren Edelesser setzen eher auf Pomp, Kreativität und Fusion – in der Kombüse auch Confusion genannt. Monsieur liebt Mango und ist sich absolut sicher: «Mango passt zu allem!»
Eines ist aber bei allen gleich: Das grösste Kobe- oder Baliklachs-Filet geht stets an den Eigner oder Charterboss. Und die Hierarchie bei Tisch ist so unumstösslich wie die Faraglioni-Felsen bei Capri. Monsieur sitzt am Kopf, Madame zu seiner Rechten, und bis ans Tafelende flacht der Bedeutungsgrad mit jedem Stuhl etwas mehr ab. Monsieur wählt die Weine und bestimmt, wann mit der Schlemmerei begonnen wird. Ein italienischer Modedesigner straft unpünktliche Gäste gar ab. Wer zu spät erscheint, bekommt nichts zu essen. Auf dem Schiff eines jungen Paares aus Kasachstan bestätigt die Ausnahme die Regel: Sie essen getrennt – angeblich weil ihr Hungergefühl verschieden getaktet sei.
Der Jachtchef muss die Gelüste seiner Gäste oft erahnen und ist verantwortlich dafür, dass alles Gewünschte stets verfügbar ist. Fehlt ein verlangter Luxusartikel, der in der Gegend nicht erwerbbar ist, wird er eingeflogen – koste es, was es wolle. Liegt das Boot mitten auf See vor Anker, muss sich der Jachtchef etwas einfallen lassen. Gleichgültig, welche Art von «Beschaffungskriminalität» er dabei anwendet. Das Schiff kreuzt ruhig zwischen Panarea und Sardinien, hundert Meilen von der nächsten Küste entfernt, als es Madame nach Wolfsbarsch-Filets gelüstet. Im Tiefkühler liegen aber nur Zackenbarsch und Heilbutt. Ihr Lob nach dem Essen beweist: Sie merkt den Unterschied nicht.
Ein Einkauf in der Ferne kann schnell zum Abenteuer werden. Etwa auf abgelegenen Inseln, wo es keine Läden gibt und sich die Menschen selbst versorgen. Da muss der Jachtchef heimkehrende Fischer beschwören, ihm etwas von ihrem Fang zu verkaufen. Und einer alten Frau Rucola und Basilikum abschwatzen, die er im Garten vor ihrem Häuschen entdeckt. Und wie erklärt man einem Metzger, dass man Lammkoteletts, Kalbsfilet oder Hühnerleber möchte, wenn das Fleisch versteckt in einem Stahlfrigo lagert und man der Sprache des Landes nicht mächtig ist? Richtig, der Koch macht sich zum Kasper mit intonierten Tierlauten von «mäh-mäh» bis «gack-gack». Und träumt heimlich von Viareggio, Monaco oder St. Tropez, wo ihm exklusive Lieferanten jedes noch so rare Luxusgut direkt an Bord liefern.
Dort ist auch Madame schneller zufriedengestellt. Abgesehen von jenem Frühstück an der Côte-d’Azur. Wie immer geht der Jachtchef in der Früh los, um frische Pain au chocolat zu holen. Madame gönnt sich in Frankreich jeden Morgen ein halbes davon. Doch heute bleibt es bei einem Bissen, und ihr Mund wird zum Strich. «Wo haben Sie das her?» Vom Bäcker, wie immer, Madame. «Welcher Bäcker?» Boulangerie Stoliarski in Golfe Juan. «Nicht aus Italien?» Wie? Nein, Madame, Ventimiglia ist 70 Kilometer entfernt. «Sicher? Denn dieses hier schmeckt mir einfach zu italienisch.»
Wohlverstanden, die meisten Jachtbesitzer goutieren das gastronomische Verwöhnprogramm. Einzig die Sorge über Gewichtszunahme beschäftigt sie noch. Darunter müssen oft auch ihre Kinder leiden. Sie stochern lustlos in den Luxusgerichten herum. Kindermenus wie Spaghetti oder Chicken Nuggets gelten als stillos.
Dafür wartet Vladimir, der siebenjährige Milliardärssohn, jeden Morgen vor der Kabinentür des Jachtchefs, um ein paar Butterbrote zu erheischen. Als seine Schwester Viktoria ihren fünften Geburtstag feiert, bestellt die Mutter eine Torte. Der Kapitän persönlich trägt die rosa Schaumtorte herein, gefolgt von der singenden Crew. Das Mädchen strahlt und bläst die Kerzen aus. Darauf bedeutet die Mutter, die Torte wegzutragen. «Weg damit!» Die kleine Viktoria schaut der Torte mit nassen Augen nach, sie versteht die Welt nicht mehr.
Madame erlaubt ihren Kindern partout nichts Süsses. Den täglichen «Kinderkuchen» ohne Eier, Butter und Zucker hat keines der Kleinen je angerührt. Doch siehe da: Eines Morgens beobachtet der Jachtchef unbemerkt, wie Madame in einem Supermarkt in St. Tropez das Einkaufskörbchen mit Süssigkeiten füllt. Noch vor der Kasse reisst sie eines der Päckchen auf und stopft sich ungehemmt eine Handvoll Gummibären in den Mund. Manchmal ist eben auch Madame nur ein Mensch.
Photos and text Corinne Nusskern
DOSSIER Essen und sozialer Status |